Über das Ankommen

Über das Ankommen

Wer sind wir, wenn nach Jahren des „unterwegs sein wollen“ plötzlich der innere Wunsch nach dem „Ankommen“ in einem auftaucht? Was macht es mit einem, wenn der innere Drang vom Reisen stiller und der Ruf nach einem Platz für länger in einem lauter wird. Davon möchte ich heute erzählen.

Seit 2015 war ich immer wieder unterwegs. Mal länger, mal kürzer, doch meistens für eine ganze Weile. Mein Drang nach Abenteuer und „die Welt sehen wollen“ schickte mich unentwegt auf Reisen. Mein Reisefieber gipfelte schliesslich in einem ganzen Jahr unterwegs und fern von daheim. Gerade der Begriff „daheim“ oder „Heimat“ formte sich für mich stets wieder neu, schien mehr eine Sache des Herzens, als des Ortes an dem ich mich befand. So vergab ich mein Herz stets neu, verlor mich in der Weite Kanadas und später in der Weite Schwedens. Fand aber auch in Deutschland und Irland Orte an denen ich mich durchaus daheim fühlte und konnte mir stets sehr gut vorstellen länger zu bleiben. Sowohl in Kanada als auch in Schweden dachte ich ans schaffen eines neuen Zuhauses für mich, weit weg von der Schweiz und begann mir Gedanken übers Auswandern zu machen. Am Ende blieb ich in der Schweiz. Status, Geld, Berufliche Aussichten, alles nicht so leicht los zu lassen, wenn man aus einem solch privilegierten Land wie der Schweiz kommt.

Viele Jahre lang wünschte ich mir nichts mehr, als meinen Job und alles was mich in der Schweiz hielt, wieder hinter mir zu lassen und losziehen zu können. Ich sparte stets für das nächste Abenteuer und band mich ungerne länger in meinem Heimatland. Günstige WG- Zimmer, alte (und günstige) Autos, die mich meist nicht lange fuhren und das ständige zurücklegen von Geld. Ich wog stets sorgfältig ab, was ich mir leisten konnte, wenn es mich doch sowieso bald wieder hinaus in die Welt zog.

In den letzten Jahren wurde ich zur „Reisenden“.

Wurde tatsächlich zu einer, die man als erstes fragt, wenn man sie dann wieder mal zu Gesicht bekommt, wo es sie als nächstes hinzieht. Oder der Freunde, die man länger nicht mehr gesehen hat, schreiben, um zu fragen, wo man denn grad unterwegs ist. Ich wurde zu dem, was ich mal so unheimlich erstrebenswert und toll fand. Ich wurde die, die man fragt, wenn man nach Kanada oder Schweden reisen will und Tipps braucht. Die, die man anschreibt um mehr über den Ausbau eines Vans zu erfahren, oder über gute Stellplätze. Ich wurde zu der, die immer unterwegs, immer auf dem Sprung war.

Die wunderschöne Schweiz entdecken.

Ich erinnere mich noch daran, wie mich die Frage danach, wann es mich wieder wegzieht, zu Beginn meiner Rückkehr in die Schweiz immer wieder strak triggerte. Konnte ich doch noch nicht sagen, wann es wieder so weit sein würde. „So bald wie möglich! Lange hält es mich ja selten.“, war stets meine Antwort. Inzwischen hat sich das etwas geändert.

Letztes Jahr im September 2019 begriff ich das erste Mal, dass sich in mir etwas verändert hatte.

Da drängte sich plötzlich ganz sanft ein neues Wort, ein neues Bedürfnis in mein Bewusstsein: der Wunsch nach Ankommen. Ich weiß noch wie ich in meiner Yoga Ausbildung eine Meditationsreise über innere Wünsche machte und danach nur dieses eine Wort in mein Notizbuch schrieb: „Ankommen“. Von da an begann sich mein Fokus zu verändern und er tut es noch immer. Ich begann in mir danach zu forschen, was es denn genau war, was ich nun wollte, was dieses Bedürfnis für mich und mein Leben bedeutete.

Ich stellte mir beispielsweise die Frage, ob der innere Wunsch nach Ankommen, mich vielleicht nicht schon viel länger begleitete als ich mir selbst so klar bewusst war. In meinen Reise- Jahren war ich zwar viel unterwegs, innerlich aber vorallem auch auf der Suche nach „mir selbst“. Nach dem, was da in mir schlummerte, nach meinen Wünschen, dem Sinn meines Lebens, dem was für mich wichtig war – meinem inneren Zuhause. „Unterwegs im Leben, auf dem Weg zu mir“ – so der Slogan meines Blogs. Durchs Reisen wollte ich bei mir ankommen. Mich selbst finden. Mich aber auch immer wieder neu entdecken und verändern, weiterentwickeln. So waren nicht zu letzte die Zeiten im Ausland für mich besonders wertvoll in denen ich z.B. auf einer Ranch wohnte. Längere Zeit blieb, mir eine Art neue Heimat erschaffen konnte und nicht unbedingt die hektischen Wochen in denen ich dauernd unterwegs war. Und gerade meine letzte Erfahrung in Schweden, wo ich fast ein halbes Jahr an einem Ort lebte, fühlten sich bereits sehr nach der inneren Sehnsucht nach Ankommen an.

Einen Alltag, sammt Ruheoasen in der Heimat schaffen.

Manchmal begegnete ich Menschen, die viele Jahre gereist waren und dann doch in ihre Heimat zurückkehrten und dort einen scheinbar konservativen Alltag weiterlebten. Die plötzlich keinen Sinn mehr sahen im lange unterwegs und fern von der Heimat sein und damit auch total zufrieden waren. Sie sagten dann solche Dinge wie: „Ich habe begriffen, dass ich die Welt dort draußen nicht brauche, um mich selbst zu finden und das Glück zu sehen.“, oder „Um glücklich zu sein, muss ich nicht unbedingt reisen, daheim in der Schweiz ist es auch schön.“ Ich schüttelte manchmal darüber den Kopf, war aber gleichzeitig ein wenig fasziniert von diesen Menschen, waren sie doch einmal Reisende wie ich gewesen und nun augenscheinlich so „langweilig“, schienen dabei aber dennoch unheimlich zufrieden. Es ist mit solchen Dingen wohl mit fast allem im Leben: Man muss seinen eigenen Weg gehen, um am Ziel anzukommen. So langsam beginne ich diese Menschen, deren Lebensweise ich nach so vielen Jahren unterwegs, damals wenig nachvollziehen konnte, zu verstehen.

Im letzten Halbjahr habe ich mir selbst eingestehen müssen, dass die Jahre als Reisende mich auch einiges gekostet haben.

Freundschaften in der Schweiz beispielweise, oder ein konstantes Arbeiten an persönlichen Themen. Mein Freundeskreis ist ein Anderer als 2015. Spannenderweise, kommen aber, seitdem ich dem „Ankommen“ Raum gebe, viele wundervolle neue Menschen in mein Leben, die dieses unheimlich bereichern. Vielleicht weil ich mich auch wieder anders ihnen gegenüber öffne und nicht mehr so versessen und fokussiert bin, aufs gleich wieder weg gehen. Neue Freundschaften in der Schweiz machten lange für mich wenig Sinn, war ich dann doch irgendwie selten da um sie zu pflegen.  

Unentdeckte Ecken erforschen.

Ich fand viel über mich selbst heraus, wenn ich unterwegs war. Ich lernte unendlich viel und mein Horizont hat sich enorm geweitet, durch all das was ich gesehen und erlebt habe. Ich würde mich heute durchaus als „open minded“ bezeichnen und als jemand, der auch schwierige Situationen meistern kann. Ich bin unendlich gewachsen auf den Reisen und doch stand ich am Ende stets vor dem gleichen Problem. Es gelang mir nämlich kaum, meine Themen, die mich in meinem Alltag in der Schweiz wiederholt belasteten, zu verändern, oder so zu bearbeiten, dass ich dann auch zurück im Schweizer Leben das Gefühl hatte persönlich gewachsen zu sein. Es war ein wenig so, als wäre ich selbst ein Werkzeugkasten, der im Ausland stets neue Werkzeuge sammelte und mit diesen unterwegs neue Türen und Fenster öffnen, oder Dinge reparieren konnte. Zurück in der Schweiz war es dann so, als würden die neuen Werkzeuge nicht mehr auf die hiesigen Schrauben passen. Da stand dann ein glänzender, bestens ausgestatteter Werkzeugkasten, dessen Inhalt für die Anforderungen vor Ort irgendwie unpassend und nutzlos schien. Ich habe länger nicht begriffen, dass ich die passenden Werkzeuge wohl oder übel in der Schweiz selbst zusammensuchen muss und sich diese nicht irgendwo unterwegs finden lassen.

Und so stehe ich nun heue hier und erkenne an, dass sich mein innerer Wunsch nach langen Reisen etwas verflüchtigt hat und dem Gefühl von „ankommen wollen“ gewichen ist.

Und ich sehe mich mit der Frage konfrontiert, wer diese Person ist, die eben nicht mehr die „Reisende“ ist, von der man nie so genau weiß, wann es sie wieder wegzieht. Folgendes steht fest: Ich möchte weiter unterwegs sein und ich kann mir auch gut weitere Reisen vorstellen. Ich habe dennoch oft Fernweh. Und würde mein Partner morgen sagen: Lass uns für ein halbes Jahr nach Mexico oder sonst wo hinreisen, dann wäre ich wohl die Erste, die sich überlegen würde, wie ich das am schnellsten gebacken kriege. Aber ich würde wohl auch einen Moment innehalten und mir sehr gründlich überlegen, ob und wann ich das wirklich will.

Gerade jetzt möchte ich hier sein, wo ich bin. Mir die Zeit nehmen neue Werkzeuge für mein Leben in der Schweiz zu sammeln. Themen angehen, die liegen geblieben sind, weil ich sie vielleicht unterwegs auch einfach nicht bearbeiten konnte. Ich möchte erfahren, wie es ist, wenn es mir auch hier daheim gut geht und ich gerne hier bin. Neue Ecken der Schweiz erforschen, mich in einem einigermaßen regelmäßigen Alltag erleben und erfahren, Zukunftspläne schmieden, Raum für eine Beziehung geben, mit wenig zufrieden sein, jetzt im Sommer nach der Arbeit noch kurz in den See hüpfen, nicht jeden Rappen drei Mal umdrehen um ihn fürs Reisen zu sparen. Alltagsdinge tun und schauen, wie ich diesen Alltag manchmal auch zu einer verrückten Reise werden lassen kann. Unterwegs sein in meinem Leben, ohne das Land zu verlassen. Unterwegs sein zu mir selbst, um vielleicht dann auch irgendwann anzukommen, irgendwo wo es schön ist…

Wer bin ich hier in der Schweiz, wenn ich nicht mehr nur die “Reisende” bin? Sich selbst neu erfinden.

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