Zeit des Wandels?

Zeit des Wandels?

Ich bin erschüttert. Erschüttert über die Tatsache, dass so viele Menschen da draussen die aus gegebenem Anlass zuhause sitzen, sich darüber beklagen, dass sie nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Der Corona Virus wütet und so schlimm wie er ist, so heilsam könnte er auch für unsere Welt werden. Weil er die Menschen endlich dazu zwingt Innenschau zu halten.  

Plötzlich können sich die armen Leute nicht mehr nach dem vermeintlich harten Arbeitstag bei einem Bier unter Freunden über diesen beklagen. Den angestauten Frust nicht mehr beim Shoppen in der Stadt abbauen in dem sie sich das X-te paar Hosen kaufen um sich schöner zu fühlen. Am Wochenende kann man nicht mal eben zum Entspannen ins nächste Wellnessbad fahren und Kino oder Party fällt ebenfalls flach.  

Wenn ich momentan social Media nutze, dann schlägt mir eine Welle von Menschen entgegen, die von einem Tag auf den Anderen auf den Konsumentzug gesetzt wurden. Die von heute auf morgen plötzlich ihren immer nur nach Aussen gerichteten Blickwinkel verlieren und damit anscheinend komplett überfordert sind. Es muss sich anfühlen als hätte einem jemand etwas äusserst Wichtiges weggenommen. Und nun wissen sie nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollen.  

Es nervt, zu hören, dass es wohl langweilig werden wird die nächste Zeit.

Und ich beobachte wie die ganzen selbst ernannten Coaches aus der “Selbstliebe – Szene” rasch Hilfe durch Instagram Storys und Online Kurse aus dem Ärmel schütteln. Es scheint fast als würde eine Art Schnellheilung durchgeführt werden in der alle, die über Jahre nur Party und Spass im Kopf hatten und sich noch nie näher mit sich selbst beschäftigt haben, das nun lernen sollen.  

Es nervt, wenn man selbst seit vielen Jahren genau diese Innenschau, Selbstreflexion plädiert und oft dafür belächelt wurde. Oder das Lesen eines guten Buches, Tagebuch schreiben, für sich selbst Tanzen oder Musik machen, irgendwie schon immer mindestens gleichwertig war, wie ein Abend mit Freunden oder ein Konzertbesuch. Wenn man aber sagte, dass man Zeit für sich braucht und deswegen lieber daheimbleibt, schräg angeschaut wurde.  

Es nervt, wenn man im Sozial- und Gesundheitswesen arbeitet und auch jetzt weiter brav seine Dienste leistet. Stets unterbezahlt, mit Arbeitszeiten, die das Sozialleben oft stark beeinträchtigen (Vielleicht kann ich das mit dem mich selbst beschäftigen ja deshalb so gut…), wurden wir nun dazu auserwählt zu Zeiten von Corona gefühlt die ganze Menschheit zu retten. Als hätten wir nicht jeden Tag stets eine riesige Verantwortung auf den Schultern. Und den Satz: ” Also deinen Job könnte ich ja nicht machen!” Nicht schon x- Mal gehört. Werden deswegen aber nicht besser bezahlt.

Müsste etwas, was kaum einer machen möchte oder könnte, nicht umso stärker wertgeschätzt werden, als etwas, was jeder gerne wäre?  

Ich bin genervt, weil dauernd dazu aufgerufen wird “Die Zeit Zuhause zu nutzen, um kreativ zu sein und jetzt endlich durchzustarten!”, oder “einen Gang runter zu schalten und bei sich an zu kommen”. Ich würde auch gerne meine Zeit daheim nutzen. Im Gegensatz zu Vielen da draussen hätte ich sehr viele Ideen was ich den ganzen Tag machen könnte. Habe meine eigenen Projekte startklar und wüsste gar nicht was ich zuerst machen soll, wenn ich doch endlich mal ungestört länger dranbleiben dürfte. Aber für mich gilt das ja nicht. Ich habe ja keine freie Zeit. Und von “runterschalten” kann auch nicht die Rede sein. Denn auf meinem Job geht’s nun erst richtig los. Denn der sowieso schon sozial-, als auch organisatorisch komplexe Alltag auf meinem Beruf wurde noch durch eine völlig unvorhersehbare Komponente erweitert. Corona sei Dank!  

Ich bin genervt. Und trotzdem tue ich das, was man eben tut, wenn man im sozialen tätig ist in dieser Zeit. Ich betreibe “Selfcare” in dem ich vor meinem Dienst Yoga mache und meditiere. Mir viele frische Vitamine und frische Luft in der Natur gönne. Und schaue, dass ich genug schlafe und meine Hände noch einige Male mehr pro Tag desinfiziere und eincreme, als ich es sonst schon tue. Ich besuche keine Geburtstagsfeste, treffe mich nicht mehr mit Freunden und pendle quasi nur zwischen Zuhause und meiner Arbeitsstelle.  

Unsere Heimleitung hat heute zu uns gesagt, dass wir nach Abriegelung unserer Institution noch die einzige Risikoquelle für unsere Hochrisikoklienten sind. Wir können den Virus von draussen mitbringen. Eine ganz schön grosse Verantwortung.

Verantwortungsbewusstsein- das Gefühl an das einmal mehr appelliert wird.  

Es liegt ganz schön viel Verantwortung auf all den Schultern, deren Job man sonst schon nicht machen möchte. Die chronisch unterbesetzt klarkommen müssen und am Ende des Monats nicht grad viel auf dem Konto haben. Auch für die Extra- Herausforderung “Corona” wird es keine Bonus- Zahlungen geben, wie es sie z.B. in der IT-Branche für ein gut erledigtes Projekt üblich ist.

Das was jetzt auf uns zukommt ist wohl auch irgendwie unbezahlbar, weil es einfach nötig ist.  

Wir stehen bereit. So wie immer. Eigentlich ist es ja nicht so viel anders. Wir sind freundlich, empathisch und zuverlässig. Wir übernehmen die Verantwortung die sonst keiner tragen möchte und geben dafür ganz schön viel von unserem eigenen Leben her. Setzen uns einem Risiko aus und wissen, dass wir es ohne Belohnung tun. Denn am Ende, wenn der Corona Virus fürs Erste vorbei ist, dann kommt nicht das nächste Team und wir dürfen in den verdienten Urlaub. Dann darf nicht ich endlich mal daheimbleiben und mich vielleicht sogar mal langweilen. Denn da ist keiner, der unseren Job übernimmt. Dann geht der ganze normale Alltag weiter.  

Was ich mir wünsche?  

Dass es eine langfristige Belohnung für unsere Bemühungen gibt. Dass die, die sich grad fragen, was sie mit all der Zeit und sich selbst tun sollen, vielleicht diese auch nutzen um zu erkennen, dass ein wertvoller Job auch als Solcher behandelt werden sollte. Dabei spreche ich nicht nur vom Gesundheits- und Sozialwesen, sondern auch von all den anderen Berufen, die gerade unentbehrlich sind und auch von denen, die uns sonst unterhalten (Kunstschaffende etc.) und dafür meist auch wenig Wertschätzung erhalten.  

Wohin entwickelt sich die Welt, wenn wir nicht mehr bereit sind Verantwortung und Qualität angemessen zu wertschätzen? Und wir nicht mehr wissen, was wir mit uns selbst anfangen können, wenn man uns die Ablenkung nimmt?  

Ich bin genervt, doch gleichzeitig hoffnungsvoll. Die sozialen Medien kann man meiden, wenn man will.  Ich werde so lange ich kann für die da sein, die meine Unterstützung brauchen. Denn nur gemeinsam sind wir stark. Und nur aus der Liebe kann Neues, Gutes entstehen.  

Es steht uns eine harte Zeit bevor. Doch wenn wir sie nutzen um aus ihr zu lernen. Dann könnte die Zukunft ein Stückchen besser werden. Daran glaube ich und das wünsche ich mir. Und bis wir in dieser Zukunft sind liebe Menschen da draussen, tut mir und all den Pflegenden und sonstigen Menschen, die unsere Grundversorgung grad sichern, den Gefallen und bleibt einfach zuhause. Wir übernehmen diese Verantwortung, doch wir sind darauf angewiesen, dass diese Virus- Welle langsam über uns herein rollt. Sonst sind vielleicht auch unsere Schultern für einmal nicht stark genug um diese Last zu tragen. Danke.

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