
Ein Winter in Schweden
Seit mitte November 2018 lebe ich in einem kleinen Holzhaus in Südschweden. Hier helfe ich den Winter über, auf einer Ranch mit Pferden, bei der anfallenden Arbeit mit. Schweden war für mich ein Glücksgriff. Ein Ankommen nach dem Unterwegs sein durch Kanada. Schweden hat mir vorallem auch ganz neue Türen in meinem Leben geöffnet. Wie es dazu kam und wie meine Tage hier so aussehen, möchte ich dir gerne erzählen.
Ich glaube an Karma und daran, dass das Leben für einem und nicht gegen einem geschieht. Ich glaube daran, dass es absolut sinnvoll ist seinem Bauchgefühl manchmal mehr zu vertrauen, als seinem Verstand. In den ganzen letzten Jahren, seit ich versuche so bewusst wie möglich mein Leben nach meinen Wünschen zu gestalten, habe ich immer mal wieder Entscheidungen, die sich über den Kopf zwar erst mal schwierig oder gar falsch angehört haben, trotzdem positiv getroffen. Es waren Dinge, von denen ich tief in mir drin einfach wusste: „das ist es!“.
Mein Bauchgefühl hatte mir die Richtung gewiesen, bevor mein Verstand überhaupt hinterher kam und die logischen Fragen stellen konnte. Genau eine solche Entscheidung war Schweden.
Im Juli diesen Jahres, Tobi und ich waren gerade in der Mitte unserer Reise in der Provinz Ontario angekommen, entdeckte ich auf Facebook eine Gruppe namens „Urlaub gegen Hand“. Ich weiss nicht mehr warum und weshalb. Wir hatten vermutlich schlechtes Wetter und verbrachten einige Zeit an einem Ort an dem wir Wifi hatten. Ich habe in dieser Zeit immer wieder nach Gruppen auf Facebook gesucht, die mir einen Mehrwert boten und wo ich mich mit anderen Menschen verbinden konnte. So unterwegs, hatte ich wohl einfach das Bedürfnis nach Verbindung mit Menschen da draussen in der Welt. Und so trat ich der Gruppe „Urlaub gegen Hand“ bei, in welcher, wie es der Name schon sagt, Menschen Urlaubsmöglichkeiten gegen etwas Mithilfe anboten. Es war ebenfalls möglich ein Gesuch zu stellen und die eigenen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Und dann sah ich dort das Inserat das mich nach Schweden brachte. Melanie suchte nach jemanden, der über den Winter, am liebsten mehrere Monate bei ihnen auf der Ranch rund um die Pferde mit anpackte. Dafür durfte man in einer eigenen „Stüga“, einem kleinen Holzhaus leben. Ich sah die Anzeige und schrieb ihr ohne lange nachzudenken eine Nachricht. Ich erklärte ihr kurz meine Situation und beschrieb ihr meine Erfahrung mit Pferden in der Schweiz und in Kanada 2015. Mit der Bitte, sie möge sich doch bei mir melden, wenn sie bis im Oktober, wo ich meinen Flug zurück in die Schweiz hatten, noch niemanden für den Winter gefunden hätte. Sofort kam eine Antwort und es entstand ein total freundliches Gespräch. Melanie war interessiert und einige Wochen später schrieb sie mir erneut, da sie mehrere Leute in der engeren Auswahl hatte und bot mir an doch mal unverbindlich zu Skypen und sich kennen zu lernen.

Ich war unterwegs, hatte oft kein Internet und plagte mich schon seit Beginn der Reise mit der Frage herum, was ich nach Kanada machen sollte. Es gab so unheimlich viele Optionen und gleichzeitig fühlte ich mich noch nicht bereit eine Entscheidung zu fällen. Der Gedanke jedoch erneut einen Ranchstay zu machen und meinen Winter in Schweden zu verbringen, der drängte sich immer mehr in mein Bewusstsein. Ich sprach mit Tobi darüber, er ein Schwedenfan der ersten Stunde, mit Familienferienhaus im Norden Schwedens. Seine halbe Kindheit hatte er gefühlt in diesem Land verbracht und seine Antwort war stimmig mit meinem Bauchgefühl: „Ich finde du solltest das machen!“ sagte er jedes Mal, wenn ich das Thema anschnitt.
Irgendwo auf einem Tim Hurtons Parkplatz wo es Wifi gab, lernte ich meine zukünftigen Gastgeber dann kennen. Wir skypeten zwei Mal innert kurzer Zeit, dann war für mich klar, ich würde den Winter in Schweden verbringen. Zwei sympathische Menschen sahen mir da aus dem Bildschirm entgegen, das Angebot klang fair und machbar. Ausserdem war Melanie Trainerin in Dual-Aktivierung und Equikinetic. Ein Konzept um Pferde zu trainieren, dass mich schon lange interessierte, zu dem ich aber nie den Einstieg gefunden hatte.
„Ich kann da bestimmt viel lernen“, sagte der Verstand, „endlich wieder ankommen und das wird bestimmt schön“, sagte das Bauchgefühl.

Und so flog ich am 11. November, nach kurzen zehn Tagen in der Schweiz via Kopenhagen nach Schweden und tauchte ein in meine neue Pferde-Welt. Der Empfang am Bahnhof war herzlich. Das Paar sofort sympathisch und als ich mein kleines Holzhäuschen betrat fühlte ich mich gleich zu Hause. Seither unterliege ich einem ziemlich stoischen Tagesablauf. Wir beginnen morgens um 9.30 Uhr (Ja, was für ein Luxus!) mit dem Misten und meist sind wir abends gegen 17.30 Uhr mit dem Füttern fertig. Dazwischen bewegen wir die Pferde, arbeiten sie auf dem Platz, reiten, machen Ausritte, oder erledigen sonstige Arbeiten rund um den Hof. Einmal die Woche geht es zum Einkaufen. Mittwoch Abend ist Line- Dance im nächsten Dorf, etwas was ich nie zuvor gemacht habe, inzwischen aber einfach nur super finde.

Anfangs habe ich körperlich total gelitten. Nach sechs Monaten Roadtrip im Van, bei dem wir uns definitiv nicht übermässig bewegt haben (37’000km wollen schliesslich gefahren werden, irgendwann), war die tägliche, körperliche Arbeit echt hart für mich. Doch es ging von Tag zu Tag besser und ich laufe und laufe und laufe und laufe. Ja mit den Pferden laufe ich ans Ende der Welt. Ich brauche nur die richtige Motivation, dann wird aus mir unsportlichen Person durchaus noch jemand, der an seine Grenzen geht.
Was ich hier am meisten Schätze ist die Einfachheit und die Konstanz der Tage.
Ja ich schätze es, meine Tage selbst planen und so verbringen zu können, wie es mir gerade gefällt. Doch nach so vielen Jahren unregelmässigem Schicht- Arbeiten und einem Leben auf Reisen, habe ich mich wohl doch sehr nach einer Struktur gesehnt. Es ordnet mich innerlich und macht mich äusserlich belastbarer, dass die Tage hier so gleich sind. Manchmal ist es etwas eintönig. Wenn das Wetter grau und dunkel ist, die Sonne mal drei Tage nicht auftaucht, dann ist es schon mal hart. Doch die Pferde und die Menschen hier reissen das dann wieder raus. Da machen wir nachmittags um vier dann „ficka“, Kaffee und Kuchen bei Oma und Opa im Nachbarhaus und dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Schweden hat Züge von Irland und England, von Teilen Kanadas und erinnert mich immer wieder an Orte in Neufundland. Mir gefällt es sehr hier. Das grüne Moos zwischen den Bäumen, die vielen wilden Steine auf den Feldern. Manchmal sieht man Rehe, wenn man Glück hat einen Elch (bisher hatte ich noch kein Glück) und wenn man im Wald einen anderen Menschen trifft, dann ist das etwas gruslig, weil man da sonst eigentlich nie jemandem begegnet.

Im Moment wird es kurz nach 16.00 Uhr dunkel. Hier in Südschweden ist es mit der Dunkelheit im Winter nicht so extrem, wie im Norden des Landes. Auch damit habe ich keine Probleme. Füttern wir die Pferde um 17.00 Uhr eben mit der „Panlampa“ (Stirnlampe auf Schwedisch) auf dem Kopf. Danach gibt es bei klarem Himmel eine grandiose Aussicht auf den Sternenhimmel und das Schummerlicht und Wärme in meinem kleinen Holzhaus. Ja es ist einsam hier. Die Abende sind oft lange. Doch ich schreibe und lese so viel wie schon so lange nicht mehr. Kontakt zu Freunden habe ich über Whatsapp und sogar telefonieren geht, wenn auch mit schwacher Verbindung. Ich schätze es, mein kleines Reich zu haben. Ich koche plötzlich ganz gerne. Backe auch mal Brot oder frischen Pizzateig. Ich habe ja Zeit, muss (und kann) ja nirgends hin. Die Abende geben Raum für Kreatives und Dinge die ich sonst nie gemacht habe.
In der Zeit in der ich hier bin, wurde ich immer wieder darin bestätigt, dass es richtig war auf mein Bauchgefühl zu hören.
So kam Melanie eines Abend z.B. Mit ganz vielen Büchern übers Reiten bei mir in der Stüga an. Ganz zu oberst das Buch „Frei sein“ von Vaile Fuchs. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher, das mich dahingehend sehr geprägt hat, dass ich damals mit zwanzig beschlossen habe, dass ich mehr mit der Natur leben möchte. Das Buch handelt von Vaile und ihrer Geschichte. Sie macht immer wieder mit ihrem Pferd im Sommer alleine Wanderritte durch Schwedens Wälder. Vaile macht auch Musik und schreibt Lieder. Ihre CD lief bei mir vor einigen Jahren auf und ab und begleitet mich auch heute auf meinem MP3 Player noch immer auf all meinen Reisen. Natürlich passt das Buch zur Ranch in Schweden und es ist erstmal nichts Aussergewöhnliches, dass Melanie mir auch dieses Buch zum Lesen brachte. Ich teilte ihr dann auch gleich mit, dass ich das Buch gut kenne und es mich prägte. Melanie erzählte mir dann, dass sie Vaile selbst gut kennt und die beiden seit Längerem gut befreundet sind. Vaile sei auch immer ab und an mal wieder hier auf der Ranch. Für mich eine wunderschöne Begebenheit, dass ich vielleicht sogar noch die Gelegenheit habe diesen Menschen hinter diesem für mich prägenden Buch und der Musik, die mich schon so lange begleitet, kennen zu lernen. Ein Zufall, dass Melanie Vaile kennt? Ich glaube nicht an Zufälle. Das Buch veränderte mich damals und heute stehe ich selbst hier in Schweden und fühle mich, als wäre ich nach langer Zeit endlich an einem Ort, in einem Gefühl angekommen, wo es mir gut geht.

Und so öffnen sich plötzlich neue Türen. Melanie brachte mir zu Beginn meines Aufenthaltes die Grundlagen der Equikinetic und Dual-Aktivierung bei, da ich die Pferde nach diesem Konzept bewegen sollte. Mich hat dieses Konzept von Beginn an total überzeugt und begeistert. So sehr, dass ich mich dazu entschlossen habe selbst eine Trainer Ausbildung bei Michael Geitner zu machen. Das ist zwar wohl nichts wo von ich 100% leben kann, doch es bietet mir die Möglichkeit ein Standbein neben der Sozialpädagogik aufzubauen das mit Pferden zu tun hat. Für mich eine wunderbare Vorstellung nach all den Jahren nur im Sozialwesen, wo ich nie so recht glücklich war. So pauke ich nun abends nach dem Stall die Theorie rund um die Geitner Ausbildung und tags über arbeite ich praktisch mit den Pferden. Ich lerne so viel. Kann jeden Tag Theorie in die Praxis umsetzten und habe das Gefühl gerade unheimlich zu wachsen.
Nein ich verdiene hier in Schweden kein Geld. Ich habe mir meine Auszeit über die letzten Jahre hart zusammen gespart. In Kanada so wenig Geld wie möglich gebraucht. Ich erhalte als Ausgleich zu meiner Arbeit auf der Ranch mein kleines Häuschen im Grünen, in dem ich den Winter über sein darf. Das klingt nach wenig, doch tatsächlich erhalte ich gerade so viel mehr. Erfahrungen, Wissen rund um die Pferde. Die Möglichkeit praktisch von Melanie zu lernen und meinen ganz eigenen Lernprozess zu durchlaufen. Ich bin so fit wie noch selten in meinem Leben. Ich finde hier Ruhe und Raum für mich und mein Sein. Den Einblick in eine andere Welt, ein fremdes Leben. Würde man mir sagen, dass ich das was ich gerade tue bezahlt mein Leben lang weiter machen könnte, ich würde sofort ja sagen. Doch auch unbezahlt ist es für mich absolut stimmig. Und wenn man die ganze Zeit auf der Ranch ist, dann braucht man bekanntlich auch sonst nicht viel Geld.

Wer weiss, wo es mich im April, oder Mai 19 noch hinträgt. Irgendwann wird das Geld zu Neige gehen und dann muss ich wohl oder übel zurück in einen bezahlten Job.
Doch bis dahin bin ich hier und fühle mich gerade reicher denn je, denn ich werde gerade reich vom Leben bezahlt und das bedeutet mir so viel mehr und macht mich so viel zufriedener als alle Nullen auf meinem Konto.