Oh du wildes Newfoundland und Labrador

Oh du wildes Newfoundland und Labrador

Wenn ich an meine Zeit in Kanada zurück denke, denn fliessen die Bilder nur so durch meinen Kopf. Ich sehe den Highway vor mir, geschlungen, steil und endlos weit gerade aus. Ich sehe Wälder, Seen, die Rocky Mountains, Bären im Yukon und immer wieder das Meer. Wenn ich in mich hinein horche, dann kann ich wieder den Wind fühlen, der wild durch mein Haar weht, wenn ich an der Küste Neufundlands stehe. Ich rieche den Duft des Meeres und gehe für einen kurzen Moment zurück auf diesen einen Felsen direkt an einem einsamen Küstenabschnitt, wo ich mir den Sonnenuntergang angesehen habe.

Kanada war sechs Monate lang ein Traum. Die ganze Reise war geprägt von unglaublich schöner Natur. Vom Fahren, unterwegs sein, vom suchen, ankommen und loslassen. Es gab viele Momente, die ich als Highlights bezeichnen würde. Dieses halbe Jahr wird wohl als grosses Highlight im Gesamten in meine Lebensgeschichte eingehen. Doch es gibt einen Teil der Reise, der mich besonders berührt, fasziniert und überrascht hat. Gegen Ende des Trips kamen wir dem Sankt-Lorenz Strom entlang an den atlantischen Ozean und legten von Sydney in Nova Scotia mit der Fähre nach Newfoundland ab. Eine fast sieben Stündige Überfahrt brachte uns in die als letzte Kanada beigetretene Provinz. Ein wildes und vorallem raues Flecken Erde. Etwa was für mich zum neuen Inbegriff Kanadas geworden ist. Wenn ich heute an Kanada denke, dann kommen da meist diese Bilder als Erstes. Vielleicht, weil wir dort am Ende der Reisezeit waren, vielleicht aber wirklich einfach, weil ich mich unheimlich in diesen Teil des riesigen, naturgewaltigen Landes verliebt hatte.

von Sydney nach Newfoundland

Ich habe bereits vier Dokumente auf meinem Laptop, die den Namen „Newfoundland und Labrador“ tragen. Doch ich habe noch keines dieser Dokumente zu ende geschrieben. Es fällt mir in keinem anderen Teil Kanadas so schwer Worte für das Gesehene und vorallem das Gefühlte zu finden. Konnte ich sonst stets einige spezielle Orte oder Momente heraus picken, scheint mir das mit Newfoundland nicht zu gelingen. Zu viele solcher Orte und Momente drängen sich mir in den Vordergrund und ich scheitere dabei, sie ordnen oder klassifizieren zu wollen. Es endet stets gleich, nämlich damit, dass ich mir die Fotos von Newfoundland wieder ansehe und in Erinnerungen schwelge. Manchmal kommen mir dann die Tränen, weil ich die Schönheit der Orte vermisse. (Ja ich bin auch nahe am Wasser gebaut.) Dann habe ich stets versucht im Text einige Orte zu nennen und zu umschreiben. Das Erlebte einfach wieder zu geben. Doch nach ein paar Sätzen merke ich wieder und wieder, dass diese Erzählungen dem Erlebten, dem Gefühl nicht gerecht werden können.

Ich habe mich auf dieser rauen Insel zu tiefst zu Hause und mit der Natur verbunden gefühlt. Natürlich hatten Tobi und ich auch dort unsere (als Paar) schwachen Momente. Gerade dort kam es oft zu Streitigkeiten. Ich habe viel geweint, viel gekämpft, habe körperlich immer wieder versucht an meine Grenzen zu gehen, bin unheimlich viele Treppen gelaufen und war dreissig Tage lang non stopp auf Ausschau nach einem Wal. Wir waren auf Newfoundland und Labrador fünf Tage mit einem Tramper aus Schweden unterwegs, der unsere gewohnte zwei Personen Routine im Van gehörig auf den Kopf stellte. Wir waren dem herannahenden Winter ausgesetzt, der mit seinem kalten Wind die Nächte zu einer Herausforderung werden liess. Nirgends sonst, fanden wir praktisch jede Nacht einen Campspot direkt am Meer. Nirgends sonst waren die Menschen so freundlich und nirgends sonst die Sonnenuntergänge so grandios schön.

„Nufi“, wie Newfoundland von den Einheimischen gerne genannt wird, hat seinen ganz eigenen Scharm. In den Souvenirläden gibt es kleine Robben aus echtem Robbenfell zu kaufen. Die Insel ist stark geprägt von der Fischerei und dem Tourismus der sich vorallem für „Wale- watsching Touren“ und die von der Labradorsee her kommenden Eisberge, interessiert. In einem abgelegenen Zipfel Newfoundlands lebten früher die Wikkinger, in einer entlegenen Funktstation mitten im Nichts wurde damals der letzte Funkspruch der Titanic empfangen, bevor sie hier vor der steilen Küste Newfoundlands sank. Ein Ort namens „Dildo“ hat ausser dem kultigen Namen und einer echt leckeren Bierbrauerei ziemlich wenig zu bieten. St. John’s, die grösste Stadt der Insel mit seinen vielen schönen Pubs dafür um so mehr.

Wir sind hier durch unberührte Landschaften mit archäologisch extrem wertvollem Gestein gefahren. Haben uns über wunderschön angelegte Holztreppen und Pfade das Land vom Berg aus angesehen. Unsere Reise führte uns von Leuchtturm, zu Leuchtturm rund um die Insel. Wir hatten die Möglichkeit einen der wenigen begehbaren, richtig alten Leuchttürme von innen sehen zu dürfen. Mit einer sehr alten Fähre, welche vor mehreren Jahrzehnten in Dänemark zu Wasser gelassen und später dann irgendwo in Afrika als Transportmittel genutzt wurde, von Newfoundland nach Labrador zu fahren. Dies ein unvorstellbar abgelegener Teil Kanadas, von wo aus eine 700km lange Schotterküste durchs Nirgendwo in die Provinz Quebec zurück führt. Es war unglaublich faszinierend für einige Tage in einem Teil des Landes zu sein, in dem man wirklich zu den einzigen Touristen gehört, die sich zu der Jahreszeit noch an diesen Ort verirren.

Küsten an denen man statt auf Steinen auf Walknochen herum hüpft und die vorbei schwimmenden Robben beobachten kann. Wo ein Museumsbesuch mit dem Nationalpark Kanada- Pass gratis und die Überfahrt auf eine geschichtsträchtige Insel mit einem kleinen Motorboot zwei Dollar extra kostet.

Auf Newfoundland haben wir die beste, grösste und günstigste Pizza mit Moosfleisch drauf, von ganz Kanada gegessen. Bier getrunken, dass nach Eisberg schmeckt und irische Musik in irischen Pubs gehört. Nie hatten wir Probleme einen Campspot zu finden. Die schönsten Plätze waren einfach da wo wir grade waren. Einheimische freuten sich, dass wir an ihrer Küste standen über Nacht und grüssten uns. Wo wir auch waren, man wollte wissen woher wir kamen und gab uns Tipps mit auf den Weg. Wir duschten in Community- Centern gratis, badeten immer wieder in schönen Schwimmbädern und machten die grössten Schnäppchen der Reise in den Thrift Shops am Weg. Einmal plünderten wir fast eine Stunde lang einen Hang voll mit köstlichen Blaubeeren und machten später daraus Sirup. Und unser mitreisender Schwede, welcher mit viel zu dünnem Equipment und seiner Bratsche reiste, spielte uns nachts bei Vollmond was vor und weckte uns morgens ebenfalls mit schönen Klängen. Mit ihm teilten wir Essen und Campspots und deckten ihn vor dem Abschied mit fettigem Essen ein, weil es keinen Shop mehr für ihn gab in Labrador und er ja nicht wusste, wann er von jemandem auf die 700km Schotterpiste zurück nach Quebec mitgenommen wurde. (Er kam unbeschadet und sehr schnell an seinem Ziel an.)

Wir fuhren durch ganz Newfoundland ohne Auspuff, weil der uns kurz vor der Fähre mitten auf der Strasse ab fiel und wir ihn nicht reparieren konnten, da es keine Ersatzteile zu vernünftigen Preisen auf der Insel gab.

Newfoundland und Labrador zeigten sich eben so Sonnig und mit den schönsten Sonnenauf- und Untergängen, als auch mit viel Nebel, Wind und Regen. Wir trugen unsere dicken Kleidungsstücke genau so wie die Barfussschuhe. Es war stets ein Wechsel zwischen Winter und den letzten Sonnentagen. Vielleicht hat auch dieser Wechsel der Jahreszeiten diese Zeit so besonders gemacht. Vielleicht der Wind. Vielleicht aber auch der spezielle Spirit der einfach über dieser Insel und dem rauen, wilden Teil des Festlandes Kanadas liegt.

 

Heute sitze ich hier in Schweden in meinem warmen Häuschen. Neben mir steht eine Tasse mit Labrador Tee, den ich aus Labrador mitgebracht habe. Ein Kraut, das nur dort wächst und das wir auch selbst gepflückt haben. Ein Duft der mich unheimlich stark an Newfoundland erinnert. Ich trinke den Tee mit bedacht, denn ich weiss nicht, wann ich wieder einmal die Möglichkeit habe solchen Tee zu trinken. Um meinen Hals trage ich einen Labradoriten, einen Kristall, den ich in Labrador gekauft habe. Er ist zu einem meiner liebsten Schmuckstücke geworden. Eine wertvolle Erinnerung.

Nun beende ich diesen Blogbeitrag, an dem ich so viele Male gescheitert bin, ohne wirklich Orte oder konkrete Aktivitäten genannt zu haben. Ich hänge einige Bilder an, die diesen Teil Kanadas ein wenig zeigen. Und ich hoffe mit meiner wirren Erzählung etwas von dem wunderschönen Flecken Erde weitergegeben zu haben. Ich weiss nicht, wann und ob es für mich je zurück nach Newfoundland und Labrador gehen wird. Doch ich trage diesen Ort und all das gefühlte dort für immer tief in meinem Herzen. Und kann nur sagen:

„Man muss es wohl erlebt und selbst gefühlt haben, um es wirklich zu verstehen.“

 

 

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